Hintergrund SUV: Bitte sachlich bleiben!

Gestern fuhr so manchem Fachmann wieder der Schreck in die Glieder: Ein SUV hatte in Berlin einen tödlichen Unfall verursacht - warum auch immer.

Gestern fuhr so manchem Fachmann wieder der Schreck in die Glieder: Ein SUV hatte in Berlin einen tödlichen Unfall verursacht - warum auch immer. Anderen war das einerlei. Gutmenschen und Lokalpolitiker, Umweltverbände und Medien kannten den Grund: das SUV, in einer ,,Spiegel"-Kolumne gestern ,,Panzerkapsel" genannt und von allen beschrieben als schwer, spritfressend und für die Stadt völlig ungeeignet, weil ein SUV zu viel Verkehrsfläche beanspruche. So viel zu den Vorverurteilungen, jetzt zu den Fakten:

Ein SUV baut kurz und hoch. Im Vergleich zu einer Limousine seiner Klasse braucht ein SUV nicht mehr, sondern eher weniger Verkehrsfläche, dafür mehr Luftraum.

Kompaktwagen liefern die Plattform

Bei der weit überwiegenden Zahl der SUV handelt es sich um Untermodelle kompakter Personenwagen. Unter den meisten SUV-Karossen stecken die Plattformen von Volkswagen Polo und Golf, Opel Astra, Ford Focus, Audi A2 und A3, die 1er und 3er BMW, die Mercedes C-Klasse und die E-Klasse sowie Passat und Arteon bei den größeren VW-SUV. Sie alle zusammen dürften neun Zehntel des SUV-Marktes ausmachen.

Angegriffen wird aber immer die kleine Minderheit der SUV in amerikanischen Dimensionen, als würden sie und nicht die Kompakten unser Straßenbild dominieren. Doch die Großen eignen sich gut für Neid und Attacke, auch bei den Autos.

Weil neun von zehn SUV auf der Kompakt- oder Mittelklasse fußen, rollen sie auch mit deren Antrieben über unsere Straßen, also nicht als Spritfresser, sondern als Fahrzeuge, die im Verbrauch und bei den Abgasen den Erwartungen und den Vorschriften entsprechen. Mag sein, dass die wegen der größeren Stirnfläche oft schlechtere Aerodynamik zu leichten Mehrverbräuchen führt - je nach Fahrweise vielleicht 0,3 bis 0,5 Liter pro 100 km.

Der Diesel als idealer Antrieb

Je größer ein SUV, desto größer auch die Wahrscheinlichkeit, dass es mit einem Dieselmotor angetrieben wird. Gut im Sinne des Klimas, weil der Dieselmotor nun einmal weniger fossilen Brennstoff konsumiert als ein Benziner. Der Verbrauchsnachteil durch die Aerodynamik wird so mehr als ausgeglichen.

Aus dem Umweltbundesamt kam vor ein paar Tagen die unqualifizierte Bemerkung, der Vorteil des Diesels sei durch stärkere Motorisierungen bei den SUV wieder aufgehoben. Stärkere Motorisierungen lassen sich in diesen Tagen auch bei Limousinen, Kombis und Sportwagen beobachten. Das ist kein SUV- und auch kein Diesel-Problem, sondern eine allgemeine Entwicklung im Markt. Übrigens war 2018 die verkaufte Kraftstoffmenge in Deutschland um zwei Prozent rückläufig.

Auf der Höhe der Zeit bei der Sicherheit

Die schon zitierten Parallelen zu den klassischen Personenwagen setzen sich fort bei den Assistenzsystemen: Müdigkeitserkennung, adaptive Systeme für den richtigen Abstand, das Überwachen von Spurwechseln, das Lesen von Verkehrsschildern, der Notbremsassistent, der auch auf Fußgänger oder Radfahrer reagiert - heute fast überall Standard.

Bleibt das Verhalten beim Unfall wegen des größeren Gewichts. Bei den Kompakten bringen der Allradantrieb und ein paar zusätzliche Elemente rund 100 kg mehr auf die Waage. Darüber müssen wir nicht groß diskutieren, denn die meisten SUV schaffen beim Euro-NCAP-Testprogramm die Bestwerte von fünf Sternen und liegen auch beim Fußgängerschutz nicht schlecht.

Die Physik schlägt bei SUV und Pkw gleichermaßen zu

Anders sieht das bei den großen Vertretern dieser Gattung aus, die sich in der Zwei-Tonnen-Klasse oder höher bewegen. Die sind zwar nicht so viel schwerer als ihre Limousinen-Pendants aus dem eigenen Haus. Aber bei beiden schlägt die Physik erbarmungslos zu: Masse mal Geschwindigkeit - das ist der Impuls, mit dem jedes Auto den Aufprall erlebt. Bei gleicher Geschwindigkeit geht die Masse in die Rechnung also als wesentlicher Faktor ein. Doch die Formel heißt nicht ,,groß erschlägt klein", sondern ,,schwer erschlägt leicht".

Das Problem treibt die Entwickler der Crash-Strukturen von Autos seit Jahrzehnten um. Die heutige Lösung: Die Vorderwagen der schweren Fahrzeuge sind weicher, damit sie beim Aufprall mit einem leichteren nicht so erbarmungslos zuschlagen.

Auch die Batterie bringt Masse ins Unfallgeschehen

Das Problem wird uns in Zukunft noch mehr bewegen als heute bei den klassischen SUV. Elektroautos fahren mit einer halben Tonne Batteriegewicht herum. Sie haben Extramasse an Bord, die bei einem Unfallgegner einschlägt. Gleichzeitig sollen sie so leicht wie möglich sein, damit sie auf eine größere Reichweite kommen. Doch Leichtbau stellt die bisherigen Techniken bei der Konstruktion von Knautschzonen in Frage.

So kann eine paradoxe Situation entstehen. Statt der wenigen schweren Limousinen und SUV sollen in Zukunft viele schwere batterieelektrische Fahrzeuge auch aus der Kompakt- und Mittelklasse unsere Straßen füllen. Das kann sich auf das Unfallgeschehen negativ auswirken. Selbst, wenn man heute davon ausgehen darf, dass die Batterien crashsicher untergebracht sind, so werden die Einschläge heftiger. (ampnet/Sm)

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Zur aktuellen Verteufelung des SUV nur so viel als Kommentar: Ärgerlich sind erstens das fehlende Sachwissen, zweitens die Bereitschaft, Fakten zugunsten der Attacke zu übergehen und drittens die unglaubliche Arroganz, die aus dem messianischen Auftreten der SUV-Gegner spricht. Sie wähnen sich im Besitz einer höheren Weisheit und damit einer Überlegenheit, die ihnen das Recht zu geben scheint, das Volk zu bevormunden.

Aber das Volk hat sich entschieden. Es kauft SUV. Ich auch. (Peter Schwerdtmann)