Rechtsstaat: EU-Kommission will Verfahren gegen Polen einstellen

Statue von Justizia mit Waage Bild: AFP

Rechtsstaat: EU-Kommission will Verfahren gegen Polen einstellen

Die EU-Kommission will ein seit mehr als sechs Jahren laufendes Rechtsstaats-Verfahren gegen Polen beenden.

Die EU-Kommission will ein seit mehr als sechs Jahren laufendes Rechtsstaats-Verfahren gegen Polen beenden. In Polen bestehe "kein klares Risiko mehr für einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit", erklärte die Brüsseler Behörde am Montag. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schrieb im Onlinedienst X von einem "Durchbruch" und gratulierte der pro-europäischen Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk. Die beanstandeten Mängel sind allerdings noch nicht beseitigt.

Konkret will die Kommission ein Ende 2017 eingeleitetes Verfahren unter Artikel sieben des EU-Vertrags beenden. Darunter drohte Polen theoretisch ein Stimmrechtsentzug im Ministerrat. Dies wäre einer Entmachtung Warschaus bei EU-Beschlüssen gleichgekommen. Polen war das erste Land, gegen das Brüssel ein solches Verfahren einleitete. Ein weiteres läuft seit 2018 gegen Ungarn. 

Die polnische Ministerin für Entwicklung und Regionalpolitik, Katarzyna Pelczynska-Nalecz, begrüßte das Signal aus Brüssel. "Das stärkt Polen im Kreis der Europäischen Union", sagte sie dem Nachrichtensender  TVN24. Es liege nun kein "Schatten" mehr auf ihrem Land.

Ein Kommissionssprecher sagte, die Tusk-Regierung habe "klare Zusagen" gemacht, um die Rechtsstaatlichkeit in Polen wiederherzustellen. Die im Oktober abgewählte Vorgängerregierung unter der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hatte die Gewaltenteilung aus EU-Sicht massiv eingeschränkt. Brüssel beanstandete vor allem eine umfassende Justizreform, mit der die PiS seit 2015 die obersten polnischen Richter schrittweise unter ihre Kontrolle brachte.

Behoben sind die von Brüssel beanstandeten Probleme bisher allerdings nicht. Das polnische Unterhaus hatte Anfang März mit den Stimmen von Tusks liberal-konservativer Bürgerkoalition eine Entschließung verabschiedet, um "das Verfassungsgericht neu aufzustellen", das Justizministerium legte dazu Reformpläne vor. 

Für die Verfassungsänderung bräuchte die Tusk-Regierung jedoch die Stimmen der Nationalkonservativen im Parlament. Nötig wäre auch die Unterschrift von Präsident Andrzej Duda, der der PiS-Partei nahesteht. Ein EU-Beamter sagte dazu, es komme vielmehr auf die "Haltung" der neuen polnischen Regierung an.

Ohnehin gilt der Ausstieg aus dem Artikel-sieben-Verfahren in Brüssel als eher symbolisch. Die Mitgliedsländer hatten zuletzt wenig Bereitschaft für einen Stimmrechtsentzug gezeigt. Das lag nicht nur an Polen und Ungarn, die einen Beschluss gegen das jeweils andere Land verhinderten. Auch Österreich und andere kleinere Staaten haben Bedenken, weil sie einen Präzedenzfall fürchten.

In dem Streit mit Polen lagen zwischenzeitlich Gelder in Milliardenhöhe auf Eis. Nach den ersten Zusagen der Tusk-Regierung hatte Warschau im Frühjahr bereits erste 6,3 Milliarden Euro aus dem europäischen Corona-Wiederaufbaufonds erhalten. Auch umfangreiche Regionalfördermittel sollen freigegeben werden. Insgesamt belaufen sich die nun freien Mittel für Polen nach Kommissionsangaben bis 2027 auf gut 136 Milliarden Euro.

Als nächstes beraten die Europaminister der Mitgliedsländer am 21. Mai in Luxemburg über den Vorschlag. Danach will die Kommission ihre Entscheidung endgültig umsetzen - voraussichtlich noch vor den Europawahlen vom 6. bis 9. Juni, wie von Tusk gewünscht. 

Ungarn wäre dann das einzige Land, gegen das noch ein Artikel-sieben-Verfahren läuft. Das ist pikant, weil Ungarn am 1. Juli den rotierenden Vorsitz der EU-Ministerräte übernimmt. Die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban steht nicht nur wegen Rechtsstaatsmängeln in Brüssel in der Kritik. Orban verzögerte wiederholt auch Milliardenhilfen für die Ukraine. Er steht dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nahe.