Pflegerin mit einer Altenheimbewohnerin Bild: AFP

"Bild": Koalition erwägt Streichung von Pflegestufe 1

Angesichts der Finanzierungslücke von rund zwei Milliarden Euro in der gesetzlichen Pflegeversicherung 2026 wird einem Medienbericht zufolge in der Bundesregierung über die Streichung des Pflegegrads 1 diskutiert.

Angesichts der Finanzierungslücke von rund zwei Milliarden Euro in der gesetzlichen Pflegeversicherung 2026 wird einem Medienbericht zufolge in der Bundesregierung über die Streichung des Pflegegrads 1 diskutiert. Die Kürzung sei eine mögliche Maßnahme zur Konsolidierung der Finanzlage, berichtete die "Bild am Sonntag" unter Berufung auf übereinstimmende Angaben von führenden Politikern von Union und SPD. Grüne und Linke sowie Verbände kritisierten die Pläne.

Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) äußerte sich zurückhaltend zu den Berichten, schloss eine Abschaffung aber auch nicht aus. Den Fernsehsendern RTL und ntv sagte die Ministerin, "wir werden den Menschen nicht über Nacht etwas wegnehmen". Das Pflegesystem sei eine große Errungenschaft. "Aber wir müssen jetzt notwendige Änderungen vornehmen, um auch in Zukunft den Menschen noch in gewohntem Umfang helfen zu können und das System generationengerecht zu machen."

Eine Reform der Pflegeversicherung sei "dringend überfällig", betonte Warken. Wenn das System aber neu ausgerichtet werde, werde es auch Veränderungen geben. Die Pflegegrade seien sehr gute Bewertungsinstrumente, den Menschen müsse aber zielgerichtet geholfen werden. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Pflegereform werde Mitte Oktober erste Vorschläge machen.

Ende 2024 waren der "BamS" zufolge rund 863.000 Menschen in Pflegegrad 1 eingestuft. In dieser Pflegestufe gibt es Anspruch auf einen monatlichen Entlastungsbetrag von 131 Euro, Zuschüsse zum Umbau der Wohnung und für einen Notrufknopf. Die Streichung des Pflegegrads 1 würde demnach pro Jahr etwa 1,8 Milliarden Euro einsparen.

Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann nannte die Pläne "ein völlig falsches Signal". Die Menschen in der Pflegestufe 1 brauchten jede Unterstützung, den Verbleib im eigenen Zuhause und ein selbstbestimmtes Leben abzusichern. Auch pflegende Angehörige bräuchten mehr Unterstützung, nicht weniger, schrieb Haßelmann im Netzwerk X. "Die Bundesregierung sollte aufhören, weiter für Verunsicherung und Frust bei pflegebedürftigen Menschen und ihren Angehörigen zu sorgen." 

Die pflegepolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Evelyn Schötz, nannte eine Streichung der Pflegestufe einen sozialpolitischen Skandal. "Rund 863.000 Menschen mit einem niedrigen Pflegebedarf droht dadurch der vollständige Verlust wichtiger Unterstützungsleistungen." Die Linke fordere einen Ausbau niedrigschwelliger Hilfen, eine bessere finanzielle Unterstützung für pflegende Angehörige und eine Reform, die den Namen verdiene: "solidarisch finanziert, gerecht verteilt und menschenwürdig gestaltet". 

Der Paritätische Wohlfahrtsverband warnte ebenfalls vor einer Abschaffung. Dessen Hauptgeschäftsführer Joachim Rock sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: "Die Abschaffung der Pflegestufe 1 wäre ein fatales Signal – zum einen an die Menschen, die von leichten Einschränkungen betroffen sind. Zum anderen aber auch an die pflegenden Angehörigen." 

80 Prozent der Menschen in der Pflege würden zu Hause betreut. Geld aus der Pflegestufe 1 entlaste derzeit "gerade die pflegenden Angehörigen, etwa mit Einkaufshilfen oder Putzdiensten", betonte Rock. 

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte der Nachrichtenagentur AFP, der Pflegegrad 1 sei 2017 eingeführt worden, um demenziell erkrankte Menschen in die Pflegeversicherung zu integrieren. "Damals ist das von allen Parteien als überfällig gefeiert worden." 

Wenn die Bundesregierung diesen Pflegegrad abschaffen wolle, wäre das ein schwerer Schlag für die Betroffenen, kritisierte Brysch. "Auch würde die schwarz-rote Koalition alle Argumente, die zur Einführung des Pflegegrades 1 führten, über Bord werfen. Die Glaubwürdigkeit und Berechenbarkeit deutscher Sozialpolitik müsste beerdigt werden."