Wenn Antidepressiva abgesetzt werden

mid Groß-Gerau - Viele Patienten haben Schwierigkeiten von Antidepressiva wieder loszukommen. EmilianDanaila / pixabay.com

Wenn Antidepressiva abgesetzt werden

Glaubt man zahlreichen Internetbeiträgen und einigen wissenschaftlichen Studien, ist das Loskommen von Antidepressiva sehr problematisch und wird von ärztlicher Seite oft unterschätzt. Hierzu haben nun Forscher der Berliner Charite und der Uniklinik Köln die Studienlage umfassend neu analysiert.


Glaubt man zahlreichen Internetbeiträgen und einigen wissenschaftlichen Studien, ist das Loskommen von Antidepressiva sehr problematisch und wird von ärztlicher Seite oft unterschätzt. Hierzu haben nun Forscher der Berliner Charite und der Uniklinik Köln die Studienlage umfassend neu analysiert. In der in "Lancet Psychiatry" veröffentlichten Arbeit kommen sie zu dem Schluss, dass jede dritte Person nach der Beendigung einer Antidepressiva-Therapie von Symptomen berichtet, jedoch die Hälfte der Symptomatik auf eine negative Erwartungshaltung zurückzuführen ist.

Nach formaler Definition machen Antidepressiva nicht abhängig. Anders als bei "echten" Suchtmitteln führt ihre Einnahme beispielsweise nicht dazu, dass der Körper für denselben Effekt eine immer höhere Dosis braucht. Trotzdem berichten einige Patienten von Symptomen wie Schwindel, Kopfschmerzen oder Schlafstörungen, wenn sie die Stimmungsaufheller absetzen. Wurde das Phänomen über viele Jahre von der Wissenschaft wenig beachtet, gibt es heute eine vergleichsweise große Zahl an Studien, die das Ausmaß der Absetzsymptome zu beziffern sucht.

"Diese Studien kommen zu teils sehr unterschiedlichen Ergebnissen", sagt Prof. Christopher Baethge, Wissenschaftler an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Uniklinik Köln und der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln. "Nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Öffentlichkeit diskutierte in den letzten Jahren sehr aktiv und manchmal auch emotional, wie häufig und schwer die Absetzsymptome nun eigentlich sind." Wie relevant das Thema ist, zeigt ein Blick auf die Verordnungszahlen. Laut dem aktuellen Arzneiverordnungs-Report wurden 2022 knapp 1,8 Milliarden Tagesdosen Antidepressiva in Deutschland verschrieben.

Um diese Frage verlässlicher als bisher zu beantworten, hat ein Team um Christopher Baethge und Dr. Jonathan Henssler, Leiter der Arbeitsgruppe Evidence-Based Mental Health an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charite, die bestehende Studienlage systematisch durchforstet und neu ausgewertet, also eine sogenannte "Meta-Analyse" durchgeführt. Als erste Untersuchung dieser Art liefert sie die bisher am besten gesicherte Abschätzung der Folgen eines Antidepressiva-Stopps. "Unsere Auswertung zeigt, dass im Schnitt jede dritte Person nach Beendigung der Antidepressiva-Behandlung Symptome erlebt", sagt Jonathan Henssler. Allerdings sei nur die Hälfte der Symptomatik tatsächlich auf die Arzneimittel zurückzuführen.